Adolph Knigge konnte Benimmregeln nicht leiden – man mag es kaum glauben. Der Freigeist wurde wegen seines schlechten Benehmens sogar zu einer Entscheidung gedrängt, die sein Leben grundlegend verändern sollte.
Lesen Sie hier: Der Versuch, ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen.
Inhalt
Was hat Adolph Knigge mit Golf zu tun?
Knigges Hauptwerk passt im Grunde prima zum Golfsport – obwohl das bekannteste Werk des Freiherrn, “Über den Umgang mit Menschen” (1), durchweg falsch interpretiert wird. Golfer werden dennoch eines seiner zentralen Anliegen im Golf-Regelwerk wieder finden: sich auf Andere einzustellen, ohne sich zu verbiegen.
Benimmregeln im Golf-Regelwerk?
Die Frage nach den Benimmregeln für den Golfplatz taucht immer wieder auf. Ein Evergreen in den Klubhäusern. Im Grunde ist das löblich, denn die Etikette hat beim Golf durchaus einen Zweck. Und zwar nicht unbedingt den, dass es viel schöner ist, wenn sich alle Golfer am Ende der Runde die Hand geben und sich für das Spiel bedanken. Sondern vielmehr, da das Spiel komplex und kompliziert ist, sodass Mancher verzweifelt und womöglich den Drang verspürt, zu schummeln oder seinen Frust an den Mitspielern auszulassen (verbal, versteht sich). Wer schon mal mit jemandem gespielt hat, der auf keinen Fall verlieren möchte, weiß, was gemeint ist.
Die Grundregeln des Golfsports lassen zudem Raum für Interpretationen. Die Fairness eines jeden einzelnen Spielers ist gefragt.
Über den Umgang mit Golfern
Das Golf-Regelwerk befasst sich in wichtigen Teilen mit dem Verhalten der Spieler. Man denke an die zwei wichtigsten Gründe, warum Golfer eine Platzreife absolvieren müssen: zum einen, um sich selbst, die Mitspieler und den Platz zu schonen bzw. nicht zu verletzen und zum anderen, um einen zügigen Spielverlauf zu ermöglichen. Um Manieren oder gutes Benehmen geht es bei den Verhaltensregeln für den Golfplatz erst in zweiter Linie. Diese ergeben sich allerdings aus den Golfregeln.
Festgelegt ist zum Beispiel, dass ein Spieler einen anderen Golfer nicht belehren darf. Golfer mit langjähriger Spielerfahrung schätzen diese Regel! Besonders auf Runden, bei denen es mitteilungsfreudige Flight-Partner mit großem Sachverstand gibt. (Ob der Sachverstand tatsächlich vorhanden ist, spielt in diesem Fall keine Rolle.) Wer sich gegen ungefragte Ratschläge zur Wehr setzen möchte, kann sich auf das offizielle Regelwerk berufen – ein Segen, wer einer unnötigen Diskussion aus dem Weg gehen möchte.
Wenn es wiederum um die Kleiderordnung geht (Hemd zwingend mit Kragen? Ärmellose Oberteile verboten? Golfschuhe mit Spikes im Klubhaus?), oder die Frage, ob man beim Abschlag auch ohne die Nutzung eines Tees abschlagen darf, haben die Golfclubs das Sagen. Diese Dinge sind im Golfsport keine Frage des Anstands oder des Stils, sondern des Regelwerks.
Ein „Golf Knigge“ im Sinne eines Leitfadens ist damit mehr oder weniger Überflüssig. Zumal der Name Knigge ohnehin zu Unrecht mit strengen Benimmregeln in Verbindung gebracht wird.
Was allem Anschein nach nicht viele wissen:
Knigge war kein Freund von Benimmregeln!
Und das obwohl ihn die Frage, was nun gutes Benehmen ist und was nicht, durchaus umtrieb.
Adolph Freiherr Knigge hat sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“ keineswegs geschrieben, um den korrekten Umgang mit Messer und Gabeln näher zu bringen, wie häufig angenommen wird. Vielmehr ging es Knigge darum, den Leuten zu erklären, wie die Menschen der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und der verschiedenen Berufsstände sich in den unterschiedlichen Lebenssituationen verhalten. Ihm ging es mehr um Aufklärung als um Belehrung. Er warb um Verständnis untereinander, in dem er versuchte, die Eigenarten des Anderen zu erklären, die womöglich ohne Erläuterung nur Ratlosigkeit und Unverständnis hinterlassen würden. Sein Buch handelt von einem guten Umgang untereinander, bei dem man durchaus auch Regeln befolgen sollte. Wenn man so will: Umgangsregeln. Es geht nicht um Benimmregeln.
Knigge hatte die Hoffnung, dass sein Buch dazu beiträgt, eine Brücke zwischen den Menschen zu schlagen, besonders zwischen den Menschen aus verschiedenen Ständen. Er hoffte, dass ein besseres Wissen um die unterschiedlichen Gepflogenheiten zu einem besseren Miteinander führt.
Das Buch sollte dabei helfen, „sich nach den Temperamenten, Einsichten und Neigungen der Menschen zu richten, ohne falsch zu sein“. Sich zu verstellen sei verkehrt, doch lohne es sich, die Eigenarten des Gegenübers zu respektieren und das eigene Verhalten darauf einzustellen.
Ein großartiges Ansinnen!
Vor allem wenn man bedenkt, welchen Weg Adolph Knigge bereits hinter sich hatte, als er das Buch 1788 veröffentlichte.
Adolph Knigge und der Streich mit bitteren Folgen
Knigge wird 1752 im niedersächsischen Bredenbeck als Spross einer Adelsfamilie geboren, war allerdings bereits als 14-Jähriger ein Vollwaise. Seine Eltern hinterließen ihm einen riesigen Schuldenberg. Der Teenager bekam einen Vormund, der ihn in Göttingen studieren ließ. Anschließend erhielt er eine Stelle als Hofjunker bei einem Grafen, wo er allerdings wegen schlechten Benehmens wieder hinauskomplimentiert wurde. Mit einem Streich am Hofe hatte er es zu weit getrieben.
Schuh auf dem Silbertablett
Eine der Hofdamen hatte angeblich die Angewohnheit, die Schuhe etwas kleiner zu wählen, so dass es ihr angenehm war, bei Tisch heimlich die Schuhe auszuziehen. Knigge bemerkte dieses und ließ einen der Schuhe von einem Diener heimlich entwenden. Später ließ er der Hofdame dann den Schuh auf einem Silbertablett servieren (2) – ein Spaß für (fast) alle Anwesenden, für den er allerdings bitter bezahlen musste.
Die Gräfin des Hofes war von dem Streich wenig angetan und verkündete am nächsten Tag, Adolph Knigge und die geleimte Hofdame verstünden sich ja bereits seit geraumer Zeit bestens. Und deswegen sei es ihr eine Freude, die Hochzeit der Beiden bekannt zu geben. Abgesprochen war dieses weder mit der Hofdame noch mit Knigge.
Den Beiden blieb kaum eine andere Möglichkeit, als tatsächlich zu heiraten. Der gesellschaftliche Druck war immens. Die Vermählung hatte zudem die Folge, dass das Paar den Hof auch verlassen musste. Knigge zog mit seiner Gemahlin zunächst auf das Familienlandgut der Ehefrau, ehe das Paar ein paar Jahre später nach Weimar zog.
Sein Streich hat den Lebensweg von Knigge nachhaltig beeinflusst. Dass sein Name heute als Inbegriff für Tugendhaftigkeit und gutes Benehmen gilt, ist kurios, kommt allerdings nicht von ungefähr.
Wie es die Benimmregeln in Knigges Buch schafften
Die Anekdote der erzwungenen Hochzeit ist nicht vollkommen gesichert, zumindest nicht in allen Einzelheiten. Doch kann man wohl festhalten, dass Adolph Knigge besonders in jungen Jahren mit den Gepflogenheiten am Hofe haderte. Dass er den Adel als dekant betrachtete und seinen Regeln sehr skeptisch gegenüberstand, ist stark anzunehmen. Zeitgenossen berichteten von regelrechten Saufgelagen und sexuellen Ausschweifungen. Streit selbst um Kleinigkeiten des höfischen Protokolls waren gang und gäbe. (3)
Knigge hat sich in einem seiner Romane über die „erbärmlichsten Hofschranzen“ und das „Hofgeschmeisse“ geärgert, das die Schlösser und Burgen seiner Zeit bewohnte. (4) Benimmregeln zu erstellen, die vor allem dem höfischen Leben zugute kommen (Stichwort: Messer und Gabel bei Tisch), dürften nicht sein Ansinnen gewesen sein. Mit dem Adel einlassen musste er sich dennoch, denn er war zeitlebens sein Geldgeber.
Dass der Name Knigge nun seit vielen Jahrzehnten als Synonym für gutes Benehmen herhalten muss, ist zu einem großen Teil dem Verlag geschuldet, der die erste Auflage seines bekannten Buches nach seinem Tod eigenmächtig um ein Kapitel mit Benimmregeln erweitert hatte. Die Hoffnung des Verlags, das Werk des Verstorbenen sinnvoll zu erweitern, mag ehrenhaft gewesen sein. Doch sind die Folgen vermutlich nicht die, die sich Adolph Knigge gewünscht hatte.
Mit seinem Buch wollte Knigge zeigen, “wie der Bürger effektiv handeln kann, ohne moralisch verwerflich zu sein”, schreibt Dr. Kai Buchholz als Kommentar in einer Ausgabe des Goldmann Verlags. (5) Ein “Urlaubs-Knigge”, ein “Smartphone-Knigge” oder ein allgemeiner “Benimm-Knigge” mit zahlreichen Regeln dürfte nicht im Sinne von Adolph Knigge sein – obwohl Regeln durchaus dabei helfen können, dass Menschen besser miteinander auskommen. Ein straffes Regelkorsett war ihm sicher zu wider.
So stellt sich die Frage, ob Knigge auf einem Golfplatz nicht doch eher fehl am Platz gewesen wäre. Den Umgang mit Menschen hätte er beim Golf wohl aber gemocht.
(1) Knigge, Adolph: Über den Umgang mit Menschen; Verlag Schmidt, Hannover 1788 – im Handel: KLICK
(2) Hermann, Ingo: Knigge – Die Biografie, Propyläen-Verlag, Berlin 2007; S. 51 ff.
(4) Knigge, Adolph: Geschichte Peter Clausens – Erstveröffentlichung um 1785
(5) Dr. Kai Buchholz: Vorwort zu „Über den Umgang mit Menschen“ von Adolph Knigge, Goldmann-Verlag 2004
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